Neuerdings legal – Giftspritzen im Naturschutzgebiet

Sybilla Keitel und Gert Müller wollten das Beste für ihre kleinen Töchter. Darum zog das Künstlerpaar in den 90ern aus Berlin aufs Land, in die idyllische Uckermark. Im neuen Haus am glasklaren See fanden sie ihr Paradies: Libellen und wilde Bienen, Rebhuhn und Fasan, Fischotter und Orchideenwiesen im Buchenwald. Es quakte aus Tümpeln, die in der hügeligen Ackerflur funkeln. Ihre Töchter malten die bunten Schmetterlinge, den Admiral, den Braunen Bär, den Trauermantel. „Wir konnten uns vor Schmetterlingen kaum retten“.

Heute sind die Töchter erwachsen. Bunte Schmetterlinge gibt es nicht mehr. Ab und an fliegt ein Kohlweißling vorbei. Keitels erlebten direkt vor ihrer Haustür das Sterben der Arten.

Dabei lebt die Familie in einem Naturschutzgebiet. Ihr Dorf in der Uckermärkischen Seenlandschaft grenzt an den Nationalpark Müritz. Hier wie dort blühen seltene Wildblumen und laichen fast ausgestorbene Amphibien wie Kammmolch und Rotbauchunke. Deshalb meldete das Land Brandenburg die Gegend um den Kuhzer See als FFH-Schutzgebiet an die EU, im Programm „Natura 2000“, einem europaweiten Netz miteinander verknüpfter Schutzgebiete zur Rettung wertvoller Arten. Obwohl eine alt eingesessene Bauernfamilie Felder im Schutzgebiet bewirtschaftet. Das war Jahrzehnte gut gegangen. Doch der Jungbauer setzte nach der Hof-Übernahme vor allem auf Mais für Biogas und spritzte seine Felder mit Pestiziden, was ohne strenge naturschutzrechtliche Einzelprüfung in FFH-Schutzgebieten verboten ist. Nach etlichen fruchtlosen Protestbriefen entschlossen sich die Keitels zum Handeln. Sie nahmen Wasserproben vom Acker. In dem Gewässer, wo früher die Frösche quakten, fanden sich Rückstände von einem Dutzend Pestizide, darunter Metolachlor, Terbuthylazin, Simazin und Glyphosat. Fast alle überschritten extrem den Grenzwert – um bis zu 12 000 Prozent. Unbeeindruckt von bundesweiter medialer Kritik sagte der Landwirt „Ein bedauerlicher Einzelfall“. Und macht genauso weiter.

Jetzt wurde das FFH-Gebiet unter deutsches Recht gestellt, als Naturschutzgebiet Kuhzer See/Klaushagen. „Wir hatten so gehofft, dass die Giftspritzerei nun endlich aufhört“.

Doch Keitels staunten: Viele Äcker waren plötzlich aus dem Schutzgebiet verschwunden. Es war auf wundersame Weise um 370 Hektar geschrumpft – angeblich wegen eines Fehlers. Noch schlimmer: Dem Landwirt ist das Pestizid-Spritzen im neuen Naturschutzgebiet nun erlaubt. Mit einem Trick. Die Schutzgebiets-Verordnung verbietet in § 4 den Einsatz jeglicher Pestizide. Doch § 5 regelt die Ausnahmen. Danach darf der Landwirt Pestizide spritzen, wenn er dabei die gute fachliche Praxis beachtet. „Das schlägt dem Fass den Boden aus. Der Landwirt wird für seine Dreistigkeit nachträglich noch belohnt.“, Keitels sind fassungslos.

Die Uckermark ist kein Einzelfall. Wortgleiche Formulierung finden sich bundesweit in den neuen Naturschutzgebieten. Alle Bundesländer müssen derzeit ihre FFH-Gebiete als Naturschutzgebiete in deutsches Recht überführen. Es geht um 4.606 Gebiete mit 15,4 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands.

Forscher entdeckten alarmierende Ackergifte selbst in streng geschützten Gebieten – in Sachsen, Brandenburg und MV. Schmetterlinge, Bienen und Vögel vergiften sich z.B. beim Trinken in verseuchten Pfützen. Die Masse der Fluginsekten sank in den letzten 27 Jahren um 75 Prozent – selbst in Schutzgebieten. Die EU führt jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (VVV2014/2262). Es droht eine Strafe von 11,8 Millionen € und weitere 861.000 € Zwangsgeld pro Tag der Überschreitung.

3 Comments on “Neuerdings legal – Giftspritzen im Naturschutzgebiet

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