Wieviel im Leben eines Fernsehautoren ist Zufall? Diese Frage stelle ich mir oft. Zufall war es, dass 2001 das ARD-Magazin GLOBUS eingestellt wurde. Wir waren niedergeschlagen, wollten aber die Flucht nach vorn antreten. So gab es diesen denkwürdigen Adventsabend mit Martina Wagner vom MDR, ein Brainstorming über neue Projekte. Gerade war die erste deutsche Ausgabe von “National Geographic” mit der Nachricht erschienen, dass es im Juli 2002 erstmals einen Badetag an der Elbe geben sollte. Damals eine unglaubliche Nachricht. Uns wurde prophezeit, niemand werde sich in den dreckigen Fluss wagen. Doch unsere Redakteurin Martina Wagner glaubte fest an die Idee und an den Enthusiasmus der Flussfreunde.
Sie war selbst an der Elbe aufgewachsen und im Fluss geschwommen. Sie sollte Recht behalten. Mehr als 10000 Mutige wagten sich in die Elbe und bescherten unserer Premieren-Sendung eine hohe Quote. Moderator war der beliebte Schauspieler Günther Schubert.
Seither entstanden 13 Flussabende.
Nein, das Bild stammt nicht aus Kanada. Es war die Saale bei Ziegenrück, wo Janine Strahl-Oesterreich und Peter Bause unerschrocken auf die Pferde stiegen. In den sieben Jahren Filmen am Fluss entdeckten wir so manches Naturwunder. Das Bild entstand im Jahrhundertsommer 2003, der uns grandioses Drehwetter bescherte. Jeden Tag Sonne – zehn Tage lang.
„Ich liebe die Saale wie die Inder den Ganges“, meinte Friedrich Schiller, und badete sommers alle Tage im Fluss. Die Studenten machten in Jena das Flussbaden populär, bis in die 1930 waren Geschlechter streng getrennt, dann wurde es lockerer, Strandbäder wie Jena-Lichtenhain lösten die strengen Badeanstalten ab. Beliebt war das alte Flussbad am Eisrechenwehr oder ein Bad im Stadtpark Jena-Paradies.
Die Flussbäder zogen sich wie Perlen die Saale entlang: Saaldorf, Jena, Bad Kösen, Naumburg, Bernburg, Weißenfels, Comburg, Calbe und vor allem die Großstadt Halle. Hier gab es ein gutes Dutzend, besonders beliebt das Flora-Bad, für Damen und Herren. Erste Bademeister waren die Halloren, die Salzsieder.
Halles Kadetten lernten Schwimmen in zwei Militärbadeanstalten. Zutritt für Damen verboten. In den Weingärten und an den Pulverweiden in Halle wurden bald große Flussbäder angelegt, auch von Arbeitersportvereinen. So riesig war der Andrang. Seltene Filmaufnahmen vom Badegewimmel am Hafen Halle-Trotha in den 30er Jahren
Doch ihre Nähe zur mitteldeutschen Chemieregion wurde der Saale zum Verhängnis. Wie hier in Bernburg leiteten auch in Buna, Leuna, Merseburg Chemiefabriken giftige Abwässer ein, dazu noch Zellulosefabriken. Baden wurde gefährlich und Mitte der 50er Jahre schließlich verboten.
Seit der Wende hat sich die Wasserqualität der Saale dramatisch verbessert. Die verbliebenen Chemiebetriebe filtern ihr Abwasser. 52 neue Klärwerke gingen in Betrieb, klären fast alle zulaufenden Abwässer. Trotzdem rümpfen viele noch die Nase. Übers braune Saale-Wasser.
Bei den Dreharbeiten zum elften Flussabend erwischte uns ein übler Schneesturm auf der Moldau in Prag. Vor der Karlsbrücke mimte Peter Bause den sagenhaften Wassermann, der die Seelen der Ertrunkenen sammelt.
Zum Europäischen Badetag 2007 wurden Badestellen eingerichtet in Prag und einem dutzend anderen Moldau-Orten, in Decin, Usti nad Labem, Pardubice, Kolin nad Labem u.v.a..
Die Boheme des 19. Jahrhunderts war ganz und gar nicht so badelustig wie heutige Zeitgenossen. Das erste öffentliche Freibad in der Moldau unterstand dem Militär und erlangte zweifelhafte Berühmtheit durch ein viel diskutiertes Unglück. Als der berühmte Fürst Rohan im Jahr 1846 seinen Truppen einen mutigen Sprung ins Wasser demonstrieren wollte, ertrank er. Nicht zuletzt damit erklären Historiker die anfängliche Verachtung der feinen Prager Gesellschaft für den Schwimmsport. Frauen sorgten als Schwimmerinnen in der Moldau immer wieder für Skandale. Eine junge Adlige – ereiferte sich die Presse damals – war von ihren englischen Eltern gezwungen worden, in der Moldau das Schwimmen zu erlernen.
Erst einer Gruppe junger Ärzte und der Schriftstellerin Bozena Nemcova gelang es schließlich, den Schwimmsport in der Prager Moldau zu rehabilitieren.
In Tschechien gelten sie als die härtesten Wassersportler überhaupt. Selbst wenn Teile des Flusses mit Eis bedeckt sind, finden sie noch ein Eisloch, um ihrem Lieblingssport zu frönen. Inspiriert von finnischen und russischen „Walrössern“ sind sie die einzigen in der EU, die ihr Hobby auch in der gefährlichen Flussströmung pflegen.
Jeder Europäer kennt wohl Smetanas Komposition „Die Moldau“, den bekanntesten Teil aus dem Zyklus „Mein Vaterland“, in dem der Künstler den einzigartigen Moldau-Trog verewigte mit seinen ungebändigten Teufelsströmen zwischen Lipno und Vissy Brod und sich von der alten Kulturlandschaft am Fluss lustvoll inspirieren ließ.
Smetana verweilte tagelang an den Moldau-Ufern, pflegte mit dem Fluss zu sprechen und gelegentlich ein erfrischendes Bad zu nehmen.
Übersetzt bedeutet „Moldau“ soviel wie wildes, heftiges Wasser. Der tschechische Name Vltava leitet sich aus dem germanischen Wilthahwa ab. Ein Zeichen, dass unsere Vorfahren der Wucht des Wassers größten Respekt zollten. Weder die alten Germanen noch die alten Tschechen trauten sich, im Fluss zu schwimmen – sie waren überwiegend Nichtschwimmer. Die deutsche Bezeichnung Moldau wurde aus der tschechischen Sprache des 13. Jahrhunderts übernommen – zuerst Möltaua.